Reichelsheimer Geschichte

Das 'Kohlebähnchen'

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Der Transport der abgebauten Braunkohle von den Tief- und Tagebaubetrieben zum Kraftwerk Wölfersheim wurde mit einer werkseigenen Grubenbahn bewerkstelligt. Diese Grubenbahn wurde im Volksmund "Kohlebähnchen" genannt. Die Bahn hatte eine Spurweite von 900mm und war mit einem 1,2kV Gleichstromnetz elektrifiziert. Neben den entsprechenden Elektroloks für den regulären Braunkohle- und Aschetransport wurden auch Diesel-Lokomotiven vorgehalten, die aber hauptsächlich im Bauzugdienst eingesetzt waren. In den Anfängen der Grubenbahn kamen auch Dampflokomotiven zum Einsatz. Das Streckennetz dieser Grubenbahn musste im Verlauf der Tief- und Tagebaue immer wieder angepasst und umgelegt werden.

Streckenverläufe der Werksbahn

Eine der ersten Strecken der Grubenbahn verlief zunächst von Wölfersheim zu der 1942 in Förderung gegangenen Tiefbaugrube Heuchelheim. Diese wurde 1954 verlängert und verlief nun an Reichelsheim vorbei zur Grube Weckesheim. Mit dieser Strecke wurde die vorherige Seilbahn abgelöst, die bis dahin die Kohle aus der Grube Weckesheim nach Wölfersheim zur Grube Ludwigshoffnung transportierte.

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Der Kohlenbunker der Grube Heuchelheim mit einem darin stehenden Kohlenzug.

Eine weitere Strecke führte vom Kraftwerk über einen Damm nach Geisenheim und überquerte dort zusammen mit der Bahnstrecke Friedberg-Hungen die Ortsstraße. Über die Römerhöfe führte sie nach Norden zum Tagebau Trais-Horloff. Sie wurde nach dessen Auskohlung zurückgebaut, die Trasse aber später zum Teil für die Anbindung des Tagebaus IV wiederverwendet. Über diese Strecke war auch der Römerschacht angebunden.
Bei Aufschluss des Tagebau I schwenkte die Werksbahn hinter Geisenheim in einem weiten Bogen aus und unterquerte dann sowohl Bahnstrecke, als auch die Bundesstraße 455 und führte westlich an Berstadt vorbei. Eine Über- oder Unterquerung der Autobahn A45 war nicht notwendig, da diese noch nicht existierte. Mit dem Wandern des Tagebaus in Richtung Norden wurde auch die Werksbahn stetig verlängert, der Kohlebunker wanderte in Abbaurichtung mit.

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Blick von Südwesten auf die Unterführung der Bahnlinie Wölfersheim-Hungen und der Bundesstraße 455. Es handelte sich in damaliger Zeit um ein technisch einmaliges Projekt, denn die Unterführung wurde während des laufenden Bahnbetriebes auf der Horlofftalbahn gebaut.

Der Tagebau IV bei Utphe wurde mit einer neun Kilometer langen Strecke erschlossen. Über die Römerhöfe führte die bereits für den Tagebau I erschlossene Strecke weiter Richtung Berstadt. Dort überquerte die Kleinbahn nach einer Ausweichstrecke auf einer markannten Doppelbrücke (Grubenbahn und Feldweg) östlich von Berstadt die Autobahn A45. Die Strecke führte südlich um Berstadt herum und kreuzte die Bundesstraße 455, bevor sie den Tagebau IV östlich von Utphe erreichte. Am 20.März 1984 wurde über diese Strecke die letzte Braunkohle transportiert, danach begann der Rückbau.

Nach dem Aufschluss der Tagebaue II und III zwischen Heuchelheim und Weckesheim wurde die Kohle zunächst im noch bestehenden Bunker der Schachtanlage in Weckesheim verladen. Eine Bandanlage führte östlich von Weckesheim dorthin. Von hier verlief bereits die Werksbahnstrecke über die Grube Heuchelheim nach Wölfersheim. Später wurde diese Strecke zurückgebaut, da der Tagebau die Streckenführung in Anspruch nahm. Die Kohle wurde nun über einen Kohlebunker nördlich der beiden Tagebaue II und III verladen.

Seit der Stilllegung des Tagebaues IV bei Utphe im März 1984, wurde nur noch die 6,3 Kilometer lange Süd-Strecke bis zum Verladebunker bei Reichelsheim betrieben. Diese Strecke wurde nach Aufschluss des Tagebaus VI bei Reichelsheim wieder vom Kohlebunker des Tagebaus II/III bis dorthin mit dem Gleismaterial der Nord-Strecke erweitert. Von den Tagebauen VI bei Reichelsheim und später auch dem Tagebau VII bei Dorn-Assenheim gelangte die Kohle durch Bandanlagen bis zum Kohlebunker Reichelsheim.

Die anfallende Asche im Kraftwerk Wölfersheim (ca. 1000 Tonnen pro Tag) wurde im alten Tagebau II/III bei Heuchelheim verkippt. Die Kippe lag auf halbem Weg an der Strecke nach Reichelsheim und wurde mittels eines Gleisdreiecks befahren. Um Zugkreuzungen zwischen Kohlezügen und Aschezügen zu ermöglichen, wurde im Bereich der "Rohräcker" zwischen Kraftwerk und Aschekippe eine Ausweichstelle eingebaut.

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Die dunkelrote Linie zeigt den gemeinsamen Streckenverlauf der Nordstrecke. Die blaue Linie zeigt die Strecke zum Tagebau I (bis 1975), die rote Linie den Streckenverlauf zum Tagebau IV bei Utphe mit Ausweichstelle (bis 1984). Diese Stecke führte zuvor schon einmal bis zum Tagebau Trais-Horloff (hier nicht eingezeichnet). Das rosa Teilstück zeigt die Anbindung des Römerschachtes. Die grüne Linie zeigt die Südstrecke, die bis zum Ende des Braunkohleabbaus in Betrieb war. Die dunkelgrünen Teile zeigen verschiedenen Ausbauvarianten aufgrund der wandernden Tagebaue bzw. Anbindung der früheren Grube Heuchelheim. Die Südstrecke hatte neben der Ausweichstelle "Rohräcker" auch ein Gleisdreieck, an dem sich bis zum Ende der Braunkohleära die Aschekippe befand.
(Karte © OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA, Bearbeitung: A.Hitz)

Züge und Zugbetrieb

Die Kohlenzüge wurden gezogen von Krupp E-Loks und bestanden aus je sechs Sattelbodenwagen mit 28 bzw. 35 Kubikmetern Inhalt. Die Aschezüge (4 Wagen mit je 16 Kubikmeter Inhalt) wurden von Henschel E-Loks gezogen. Insgesamt waren 35 Kohle- und 21 Aschewagen im Einsatz. Während die Krupp E-Loks 1954-1962 neu an die PREAG geliefert wurden, wurden die 1924 gebauten Henschel E-Loks gebraucht von der Roddergrube der Rheinischen Braunkohlenwerke in 1954 bezogen.

Der Kohlenverkehr lief in den späten Tagebaujahren in aller Regel nur an Vormittagen, während Aschezüge den ganzen Tag über fuhren. Ein Kohlenzug war mit rund 150 Tonnen Kohle beladen. Die Ein- und Ausfahrt der Züge auf das Kraftwerksgelände erfolgte durch ein Einfahrtstor auf der Südseite. Nach Erreichen der Kohlehalde musste ein Kohlenzug rückwärts auf die Entladerampe stoßen, um die Sattelbodenwagen zu entleeren. Die Kohle wurde nach dem Entladen auf der Kohlemischhalde mit der Kohle aus anderen Tagebauen gemischt. Von dort wurde die Kohle anfangs über einen Schaufelradbagger, später über ein Haldenaufnahmegerät und Förderbänder zum Kraftwerk transportiert.

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Blick auf die Einfahrt und die Gleisanlagen der Werksbahn südlich des Kraftwerks Wölfersheim. Die Züge fuhren über ein Tor (1) auf das Kraftwerksgelände. Auf der Entladerampe (2) wurde der Zug entladen. Die Kohle lief über eine Bandanlage (3) auf die Kohlemischhalde (4), hier nur teilweise im Bild.

Die Weichen im Streckennetz der Grubenbahn wurden übrigens von den Lokomotiven aus über ein Lampensystem geschaltet, welches an jeder Lok angebracht war. Markant war dies vor allem bei den Loks der Aschezüge, da hier die Lampen aufgrund der kleineren Lokomotiven mit vier Auslegern am Führerhausdach angebracht waren.

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Henschel E-Lok eines Aschezuges mit den vier markant am Dach des Führerhauses angebrachten Scheinwerfern zur Weichensteuerung.

Das Ende des Kohlebähnchens

Am 30. September 1991 transportierte ein festlich geschmückter Kohlenzug vom Kohlenbunker Reichelsheim die letzte Wetterauer Braunkohle ins Kraftwerk nach Wölfersheim. Nach der Auskohlung des letzten in Betrieb stehenden Weckesheimer Tagebaus VII wurde Anfang Oktober '91 mit dem Gleisrückbau begonnen. Zunächst wurden Gleise und Trasse zwischen Kohlebunker Reichelsheim bis zur Aschehalde am ehemaligen Tagebau II/III zurückgebaut. Nach Abschalten des Kraftwerks gegen Ende Oktober wurde begonnen den Rest der Strecke bis zum Kraftwerk ebenfalls abzubauen. Im März 1992 war dieser Rückbau bereits bis zur Ausweichstelle "Rohräcker" fortgeschritten.

Fast alle vorhandenen Lokomotiven und Wagen wurden Anfang des Jahres 1992 verschrottet. Die bis zuletzt vorhandene Krupp-Diesellok wurde an die Märkische Museumsbahn in Plettenberg verkauft. Krupp E-Lok Nr.3 wurde mit einem Sattelbodenwagen im April 1992 am Bahnhof Weckesheim mit einem Sattelbodenwagen als Denkmal aufgestellt. Am Bahnhof in Wölfersheim, gegenüber dem heutigen Energiemuseum, stehen die beiden Loks Nr.2 (Krupp) und Nr.5 (Henschel) mit je einem Sattelbodenwagen und einem Aschewagen.

Bilder der Wölferheimer Grubenbahn

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Anfangs wurde die Kohle aus den Tagebauen II und III im alten Bunker der Schachtanlage Weckesheim an der Landstraße zwischen Reichelsheim und Weckesheim verladen. Rechts im Bild kann man das Förderband aus dem neu aufgeschlossenen Tagebau erkennen, linkerhand ist die Förderbrücke zum Tiefbauschacht Weckesheim zu sehen.

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Blick auf den Kohlenbunker an der Landstraße zwischen Reichelsheim und Weckesheim (1990). Über Bandanlagen gelangte die Braunkohle aus den Tagebauen VI und VII hierher.

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Beladener Kohlenzug am Kohlebunker Reichelsheim beginnt seine Fahrt ins Kraftwerk Wölfersheim.

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Leerer Kohlenzug kurz vor dem Kohlebunker Reichelsheim. Rechts neben der Bahnstrecke verlief eine Bandanlage, die den Abraum vom Tagebau VI bei Reichelsheim zum ausgekohlten Tagebau II/III nach Heuchelheim transportierte.

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Ein mit Asche beladener Zug ist vom Kraftwerk Wölfersheim auf dem Weg zur Asche-Halde, hier kurz vor der Ausweichstelle "Rohräcker".

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Entleeren eines Asche-Zuges an der Halde im Tagebau II/III zwischen Heuchelheim und Weckesheim (September 1990)

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Entleeren eines Asche-Zuges auf der Halde im Tagebau II/III.

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Im Februar 1990 diese Henschel-Lok einen Asche-Leerzug zurück ins Kraftwerk Wölfersheim.

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Asche-Leerzug kurz vor der Einfahrt ins Kraftwerk Wölfersheim.

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Am 30. September 1991 fuhr der letzte Kohlenzug festlich geschmückt vom Kohlenbunker Reichelsheim ins Kraftwerk nach Wölfersheim.

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Der letzte Kohlenzug bei der Ausfahrt aus dem Reichelsheimer Kohlebunker.


Bilder und Quellen:
- Braunkohlemuseum Wölfersheim
- Der Hessische Braunkohlebergbau und seine Bahnen, Andreas Christopher
- Bergbauverein Weckesheim
- Dieter Mößer
- PREAG Informationsprospekte



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