Reichelsheimer Geschichte

Absturz eines B17-Bombers bei Blofeld

Reichelsheim blieb von Kriegshandlungen des 2.Weltkrieges weitgehend verschont. Neben des Bomberabsturzes in Reichelsheim selber, ist der Absturz eines weiteren B17-Bombers ein halbes Jahr später bei Blofeld bekannt. Dieser Absturz ist auch bei der USAF aktenkundig und wird wie folgt vermerkt: 'B-17 #448499 was shot down near Blowfield, Germany'. Einer andere Quelle nennt 'Blefelden/Mauheim' genannt. In allen Fällen lässt die Ortsangabe auf Blofeld schließen (Mauheim steht vermutlich für Nauheim). Zeugenaussagen decken sich mit diesen Angaben. Wir haben die Geschichte dieses Bombers und dessen Mannschafts nachfolgend recherchiert und zusammengefasst.

Die Mission

Am Donnerstag, den 30.November 1944, starteten 40 Maschinen der US Army Air Force vom RAF-Stützpunkt Sudbury in Richtung Leuna. Im Rahmen der Mission Nr.110 sollten sie mit rund 87 Tonnen Sprengstoff das Mineralölwerk im sächsischen Lützkendorf in der Nähe von Leuna bombardieren und zerstören. Die Alliierten versuchten nach wie vor durch Angriffe auf solche taktischen Ziele das deutsche Militär in seiner Mobilität einzuschränken. Eskortiert wurden die Bomber von P-47 und P-51 Jagdflugzeugen.

Die Besatzung

Teil dieser Mission bzw. der Bomberformation war der Bomber vom Typ B-17G-45-VE mit dem Spitznamen "The Blue Fairy" von 2nd Lieutenant Howard R. Heinz. Im Gegensatz zu der abgestürzten Maschine in Reichelsheim ist die gesammte Mannschaft des Fliegers bekannt:

Name Dienstgrad Aufgabe Status
Howard R. Heinz 2nd Lieutenant Pilot Gefallen (KIA)
Donald R. Landeck 2nd Lieutenant Co-Pilot Gefallen (KIA)
James J. Scott 2nd Lieutenant Bombenschütze Gerettet (RTD)
Robert R. Cole S/Sergant Heckschütze Kriegsgefangener (POW)
Walter E. Wright Sergant Funker Kriegsgefangener (POW)
Leo A. Myers, Jr. Sergant Rechter Seitenschütze Vermisst (MIA)
John R. Brock Sergant Schütze im 'Ball' (unten) Kriegsgefangener (POW)
Richard L. Lopez Sergant Flugingenieur / Schütze Gefallen (KIA)
Bobby D. Allen Sergant Linker Seitenschütze Kriegsgefangener (POW)
Abkürzungen: KIA=Killed in action, RTD=Returned to Duty, POW=Prisoner of war, MIA=Missing in action

Die Einheit

832sq.gif
Der B17-Bomber "The Blue Fairy" gehörte zur 832 Bomb Squadron der 486th Bomb Group (4th Combat Bombardement Wing). Der Stützpunkt Sudbury in der Nähe von Ipswich in Suffolk beheimatete von 1944-1945 die 486th Bomb Group. Der Bomber war unter der Seriennummer 44-8499 registriert. Die Flugzeuge der 486th Bomb Group waren durch das gelbe Leitwerk mit dem weißen "W" auf dem schwarzen Quadrat gekennzeichnet.
Die Mannschaft von Howard Heinz flog von September bis November 1944 bei 22 Missionen mit. Ihr 23. Einsatz sollte der letzte sein.

Das Ziel

Ziel der Mission Nr.110, die von John L. Rex geleitet wurde, war das 1936 gegründete Mineralölwerk im sächsischen Lützkendorf. Aufgrund der im Umkreis existierenden Braunkohle wurden daraus im Syntheseverfahren Kraft- und Schmierstoffe produziert. Jährlich wurden so bis zu 75.000 Tonnen Kraftstoff und 55.000 Tonnen Schmierstoffe hergestellt. Das Werk wurde bei dem Angriff 1944 zu 80% zerstört, konnte jedoch bereits im Juli des Folgejahres wieder die Produktion aufnehmen. Das Mineralölwerk existiert übrigens heute noch und produziert unter dem Namen "ADDINOL" Hochleistungsschmierstoffe. 1999 wurde es zu Teilen nach Leuna verlagert.
Lützkendorf selber existiert heute nicht mehr. Das Dorf wurde 1961 zugunsten eines Braunkohleabbaus umgesiedelt und 1963 abgebaggert. Heute befindet sich dort der Geiseltalsee.

Karte Geiseltalsee
Karte des heutigen Geiseltalsees mit Lage der ehemaligen Ortschaften (schwarz) und des ehemaligen Mineralölwerkes (pink).
(Grafik: www.geiseltalsee-ifv.de)

Der Abschuss

Die Boeing B-17, auch 'Fliegende Festung' genannt, ist einer der bekanntesten schweren Bomber der US-Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg. Sie war bekannt dafür, auch mit schwersten Beschädigungen aus ihren Einsätzen zurückzukehren. Dieses Glück hatte die Mannschaft leider nicht. Im Zielgebiet um Merseburg herum wurde die Formation von schwerem, präzisem Flak unter Beschuss genommen. Die Maschine wurde an der rechten Tragfläche getroffen. Nach Aussage der Crew wurde einer der Tanks getroffen. Gegen 14:15 Uhr quoll schwarzer Rauch aus Tragfläche. Zu diesem Zeitpunkt war die Maschine in mehr als sieben Kilometern Höhe unterwegs.

Eine fehlerhafte Koordinate
Es gibt für den oben genannten Zeitpunkt auch eine Positionsangabe, die sich aber aufgrund eines möglichen Entzifferungsfehlers nicht genau ermitteln bzw. verifizieren lässt. Laut dem digitalisierten Kriegsbericht soll diese Koordinate wie folgt lauten: "57ö 27'N-09ö 34'E". Würde man diese Koordinate als geografische Koordinate entziffern, müsste sie wie folgt aussehen:
  • 57° 27' N - 09° 34' E
Im Klartext: 57 Grad 27 Minuten nördliche Breite und 9 Grad, 34 Minuten östliche Länge. Diese Angabe sorgt aber schnell bei der Recherche für Verwirrung:
Diese Position liegt in der Nordsee, nördlich von Dänemark. Deshalb ist zu vermuten, dass es sich hierbei um eine fehlerhafte Koordinate handelt, bzw. beim Übertragen der Koordinate aus handschriftlichen Aufzeichnungen zu einer Missinterpretation kam. Mögliche Koordinaten wären aufgrund ähnlicher Ziffern z.B. auch:
  • 51° 27' N - 09° 34' E (eine 51 anstatt 57)
  • 50° 27' N - 09° 34' E (eine 50 anstatt 57)
Letztendlich gibt diese Koordinate nur die Stelle des Fluges wieder, an welcher der brennende Flügel des Bombers notiert wurde. Sie kann keinen konkreten Aufschluss darüber geben, wo die Maschine letztlich abgestürzt ist.

Schaut man sich die Koordinaten mal auf der Karte an, sieht das wie folgt aus:

b17absturz_blofeld02.png
Karte mit dem Ziel bei Leuna (blau), den möglichen Koordinaten/Positionen (grün; oben 51°, unten 50°) und der Absturzstelle bei Blofeld (rot).
(Karte © OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA, Bearbeitung: A.Hitz)

Die beiden oben vermuteten Koordinaten geben Rätsel auf. Würde die nördliche Breite "51° 27'N" stimmen, wäre die direkte Flugroute vom Ziel zurück zur Basis nach Sudbury plausibel. Allerdings wäre dann ein Absturz bei Blofeld aufgrund der Entfernung eher unwahrscheinlich.
Nimmt man die nördliche Breite "50° 27'N", wäre der Absturzort möglicherweise nachvollziehbar, allerdings wäre das nicht mehr die direkte Flugroute nach Sudbury (was aber aus taktischen Gründen durchaus denkbar wäre).

Die richtige Position wird sich nicht mehr ermitteln lassen. Viele Fragen lassen hier nur Vermutungen zu: Flog der Verband auf direktem Wege zurück nach Sudbury? Stimmte die aufgezeichnete Position überhaupt? Wie gut ist die Aufzeichnung selber lesbar? Wieviel Zeit liegt zwischen Erfassung der Koordinate, Absprung der Mannschaft und Absturz des Fliegers? Wie verhält sich ein B17-Bomber mit beschädigter rechter Tragfläche, der unkontrolliert aus ca. sieben Kilometern Höhe abstürzt? Wo sind die Soldaten abgesprungen? Wie war die Windrichtung und wo sind sie gelandet? ...

Wie ging es aber mit dem Flieger weiter?

Als der Besatzung klar wurde, dass die Maschine sie nicht mehr bis nach Hause bringen würde, zog Pilot Howard Heinz den Bomber nach links aus der Formation und bereitete die Mannschaft auf den Absprung vor. Von den Flugzeugen der Formation wurden insgesamt acht Absprünge beobachtet. Als die rechte Tragflächenspitze des Bombers abbrach, sprang ein weiteres Crew-Mitglieds aus der Maschine. Bei allen abspringenden Soldaten öffneten sich die Fallschirme. Die B-17 stürzte anschließend mit brennendem rechten Flügel durch die Wolken ab.

Sergant Cole, eingesetzt als Heckschütze, berichtet später wie folgt von dem Absprung:
Scott, Brock, Allen and Wright und er selber verließen am Fallschirm nach dem Befehl zum Absprung die Maschine. Sie wurden von deutschen Soldaten unmittelbar nach der Landung gefangen genommen. Seinen Aussagen nach konnte er nicht beobachten, ob die anderen Crew-Mitglieder auch abgesprungen waren. Er war der Annahme, dass sie bei der Explosion der Maschine ums Leben kamen. Wright hatte gegenüber Cole geäußert, dass Lopez Probleme beim Verlassen des Flugzeuges hatte und er vermute, dass diese Verzögerung den anderen Crew-Mitgliedern zum Verhängnis wurde und sie letztlich das Leben kostete. Alle mit Cole abgesprungenen Soldaten wurden verletzt; Scott so schwer, so dass er auf einer Trage abtransportiert werden musste.
Sergant Brock berichtete, dass er von Scott erfahren habe, Myers wäre aufgrund Sauerstoffmangels ohnmächtig geworden, als er sich auf den Absprung vorbereitete. Er konnte von der noch an Board verbliebenen Besatzung wieder zu Bewusstsein gebracht werden und das Flugzeug verlassen. Myers verstarb allerdings bei oder nach der Landung.
Durch die verschiedenen, teils abweichenden Berichte ergab sich aber auf jeden Fall die Tatsache, dass alle Crew-Mitglieder den Bomber am Fallschirm verlassen konnten.

Sergant Richard L. Lopez
b17absturz_blofeld04.jpg Etwas mehr bekannt ist über das Schicksal des Schützen Richard L. Lopez. Nach dem Bericht von Robert Cole hatte Bobby Allen Sergant Lopez nach deren Lanung noch einmal in einer vermutlich zum Lazarett umgebauten Schule gesehen. Es ist deshalb anzunehmen, dass Allen und Lopez in unmittelbarer Nähe landeten. Einem 'Report of Investigation' nach überlebte Lopez zwar den Absprung und die Landung in einem Wald, starb jedoch später an seinen Verletzungen, die er sich bei der Landung zugezogen hatte. Augenzeugenberichten nach landeten Lopez und Allen in einem Waldstück östlich von Ober-Mockstadt. Mehrere Personen hatten die beiden Fallschirmspringer landen sehen und waren in den Wald geeilt. Darunter war auch ein örtlicher NS-Kommandant. Der verletzte Lopez hat nach Informationen von Zeitzeugen eine Schimpfrede des Kommandanten über sich ergehen lassen müssen. Aufgrund der vielen anwesenden Leute, unter anderem auch einquartierte Soldaten - soll nichts Schlimmeres passiert sein. Lopez hatte vermutlich schwere innere Verletzungen, war aber bei Bewusstsein und soll mehrfach nach seinem Kameraden gefragt haben. Vermutlich hatte sich dieser zunächst noch um Lopez gekümmert, bevor Personen an der Landestelle eintrafen. Lopez wurde anschließend mit einem kleinen Wagen aus dem Wald zu einem Arzt gebracht, welcher aber die Behandlung ablehnte. Er sei danach in die Schule nach Ober-Mockstadt transportiert worden, wo er von der Lehrerin Amalie Steuerwald versorgt wurde. Dort starb er in der Nacht an seinen Verletzungen. Lopez wurde in Ober-Mockstadt auf dem Friedhof ohne Sarg beigesetzt. Er konnte über seine Soldatenmarke ('dog plate') eindeutig identifiziert werden. Ende des Krieges wurde sein Leichnam ausgegraben und auf den 'Netherlands American Cemetery' in Margraten (Nähe Maastrich) überführt.

Der zusammen mit Lopez in dem Waldstück gelandete Soldat soll sich zwei Tage später in Effolderbach gestellt haben. Er kam in Kriegsgefangenschaft und wurde später ins Stalag IV überstellt. Er konnte nach Kriegsende im Oktober 1945 heimkehren.

Die amerikanischen Soldaten landeten vermutlich alle im Bereich weiträumig um die Absturzstelle bei Blofeld, wie Zeugenaussagen belegen. Heinz, Landeck and Myers wurden sehr wahrscheinlich durch deutsche Soldaten ermordet. Bei der Recherche zu diesem Artikel sind wir auf Informationen gestossen, nach denen Heinz und Landeck sogar in Blofeld beerdigt wurden. Dafür gab es bisher aber keine Nachweise.
Cole, Wright, Brock und Allen gerieten in Kriegsgefangenschaft. Scott soll es irgendwann trotz seiner schweren Verletzungen gelungen sein zu entkommen und unterzutauchen.

Der B17-Bomber bzw. dessen Reste stürzten gegen 15 Uhr zwischen Blofeld und Leidhecken in den Reichelsheimer Stadtwald. Das Trümmerfeld war nach Aussage von Zeitzeugen großflächig und befand sich unter anderem im sogenannten 'Isenburger Feld' westlich der Försterwiese. Der Zerstörungsgrad der Maschine wäre sehr groß gewesen, was drauf schließen lassen könnte, dass der Bomber bereits in Einzelteilen vom Himmel kam. Metall war in den letzten Kriegsjahren Mangelware. Jeder der etwas gebrauchen konnte, ließ Teile des Fliegers mitgehen. So war bald nichts mehr von dem Bomber zu finden, obwohl dieser anfangs nach unbestätigten Informationen durch einen Offizier aus Blofeld bewacht wurde.

b17absturz_blofeld03.png
Die Karte zeigt die ungefähre Absturzstelle im Reichelsheimer Stadtwald zwischen Blofeld und Leidhecken.
(Karte © OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA, Bearbeitung: A.Hitz)



Informationsquellen:
- 486th Bombardment Group (www.486th.org)
- Wikipedia
- Schwalheimer Arbeitskreis Geschichte
- Kurt Meub, Ranstadt
- Zeugenaussagen
- Missing Air Crew Report (MACR) 11152



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