Reichelsheim

Schmutziges Geschäft mit der Müllstation

Zwei CDU-Kreistagsabgeordnete und ein Landrat lassen sich dafür bezahlen, dass eine bayerische Staatsfirma einen lukrativen Auftrag bekommt: FR-Autor Winfried Rohloff deckt 1983 eine Korruptionsaffäre in der Wetterau auf und wird dafür mit dem Wächterpreis belohnt.

Friedberg - Ein Landkreis droht im eigenen Unrat zu ersticken: Weil die heutige CDU-FDP-Kreisspitze ebenso wie die früheren SPD-Verantwortlichen nicht in der Lage waren, rechtzeitig ein eigenes Deponiegelände zu finden, muss der Abfall der über 250.000 Einwohner des Wetteraukreises heute per Bahn über 140 Kilometer nach Uttershausen (Schwalm-Eder-Kreis) gekarrt werden. Beim Bau der für dieses schmutzige Geschäft notwendigen Müllumladestation in Echzell ist offenbar auch die Weste manches Wetterauer CDU-Politikers nicht sauber geblieben. Die FR ist im Besitz von Informationen und Unterlagen, nach denen die bayerische Staatsfirma Berg-, Hütten- und Salzwerke AG (BHS), die den Zuschlag für das unterm Strich fünf Millionen Mark teure Projekt bekam, die Auftrags vergäbe mit zumindest 45.200 Mark belohnte.

Diese Summe packte der inzwischen tödlich verunglückte CDU-Kreistagsabgeordnete und Vorsitzende des Planungsausschusses des Wetterauer Kreistages, Karl-Heinz Wißmer, am 16. April 1982 bei der BHS in Peißenberg in seinen Koffer, ehe er sich in Richtung Hessen auf den Heimweg machte. Der Wetterauer SPD-Unterbezirks Vorsitzende Gerhard Becker spricht, seitdem ihm diese Fakten durch die FR bekannt sind, offen von einer "Korruptionsaffäre". Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft in Gießen Ermittlungen eingeleitet (Aktenzeichen AR 85/83). Die ersten Vernehmungen sollen in der kommenden Woche sein.

Das Wort "Parteispende"

Dass es sich bei den schweren Beschuldigungen nicht nur um einen bloßen Verdacht handelt, belegt das Protokoll eines kompetenten BHS-Beschäftigten, das der FR vorliegt. In dem Papier, das bis in die Anfangsstadien der Auftragsvergabe für die Müllumladestation zurückreicht, werden Details offengelegt: Am. 17. November 1981 reisten die CDU-Kreistagsabgeordneten Wißmer und Hans-Jürgen Alt zum Anbieter BHS und führten mit dem Direktorium des Unternehmens ein zweieinhalbstündiges Gespräch. Teilnehmer waren: BHS-Direktor Wolfgang Köhler, Technischer Werksleiter Ludwig Sendl, der zuständige Vertreter für Müllumladestationen und den technischen Verkauf, Gerd Damm, Verkaufsleiter Lothar Lohberger sowie der für den Baubereich verantwortliche Entsorgungstechniker Helmut Pattberg.

Zitat aus der Niederschrift: Die beiden Wetterauer CDU-Kreispolitiker sollten, so ihre eigenen Worte, im Auftrag von Landrat Helmut Münch (CDU) und dem Kreisausschuss die BHS auf Größe, Wirtschaftlichkeit und Bonität überprüfen, da mit dem Unternehmen des Freistaates bereits sympathisiert werde. "Beiläufig" sei von Seiten der beiden Wetterauer "Unterhändler" das Wort "Parteispende in Höhe von 50.000 Mark gefallen". Wenn der Preis stimme, könne man über die Angelegenheit sprechen, wird BHS-Direktor Köhler in den Aufzeichnungen des FR-Informanten zitiert. Sorge bereite nur das Verbuchen der Summe. Der Auftrag solle jedoch an der "Spenden"-Forderung nicht scheitern.

Die Bedenken der BHS-Leitung, wie der gewünschte Betrag im eigenen Hause abzurechnen sei, habe Karl-Heinz Wißmer mit der Bemerkung zerstreut, das BHS-Angebot von 4,6 Millionen Mark für den schlüsselfertigen Bau der Müllumladestation sei ohnedies "zu kurz beschnitten". Über Haushaltsnachträge werde die CDU im Kreistag dafür sorgen, dass das Unternehmen mehr kassieren könne, als ursprünglich veranschlagt. "Das werden wir schon drehen und deichseln", versprach Wißmer.

Die Sympathien der CDU-Kreispolitiker zur BHS wurden schließlich außerhalb der Diensträume vertieft: Die Teilnehmer der Gesprächsrunde kehrten später zu einem "üppigen" Abendessen in die Murnauer Nobelherberge "Alpengasthof" ein. Solchermaßen gestärkt, wurden anschließend die Geschäftsbeziehungen noch in zwei Bars mit Oben-ohne-Bedienung in dem Marktflecken Peißenberg (10.564 Einwohner) fortgesetzt - wo freilich "nichts los gewesen" sei.

Ihre Tour nach Peißenberg war jedoch keineswegs, wie behauptet, vom Wetterauer Kreisausschuss abgesegnet. "Das Gespräch ist hinter meinem Rücken erfolgt, ich wusste von nichts", entrüstet sich jetzt auf Anfrage der FR der stellvertretende Landrat und Dezernent für Umwelt und Müll, Dr. Walter Sper (FDP), dessen Partei mit den Christlichen Demokraten nach den Kommunalwahlen 1977 im bis dahin traditionell "roten" Wetterauskreis einen noch immer umstrittenen Kooperationsvertrag geschlossen hat.

"Ausschuss hintergangen"

Auch den Sozialdemokraten im Kreisausschuss war von der Fahrt der CDU-Abgeordneten Alt und Wißmer "absolut nichts bekannt, geschweige denn von einem Auftrag des Kreisausschusses. "Hier wurden Kreisausschuss und Kreisparlament in einer Nacht- und Nebelaktion auf Kosten der Bürger hintergangen", erbost sich SPD-Unterbezirksvorsitzender Gerhard Becker auf Anfrage der FR.

In der Tat hat die Aktiengesellschaft BHS, eine Nachfolgefirma des ehemaligen Bergwerks Peißenberg, wo bis 1968 Pechkohle gefördert wurde, für die schlüsselfertige Echzeller Müllumschlagstation letztlich rund fünf Millionen kassiert. Den Ausschlag pro BHS gab Wißmer, der nach Analyse seiner Angebotsvergleiche dem Kreisausschuss und dem Kreistag schriftlich empfahl: "BHS ist die preisgünstigste Firma und sollte den Auftrag erhalten!" Überhaupt spielt Karl-Heinz Wißmer bei den Vorgängen um die Müllumladestation eine entscheidende Rolle. Während er am 17. November gegen 16.30 Uhr in München schon mit der BHS verhandelte, beschloss der Kreisausschuss in Friedberg etwa zur gleichen Stunde erst, Wißmer mit den Vorarbeiten für den Bau des Müllverladebahnhofs zu beauftragen.

Doch damit nicht genug. Acht Monate später gar avancierte Karl-Heinz Wißmer zum Angestellten des Wetteraukreises mit der Dotierung BAT 4 a plus 700 Mark monatlich als Draufgabe. Fortan fungierte der Christdemokrat, Chef einer Firma für Immobilien-Vermietung in Karben, als Bauführer für die Müllstation in Echzell.

Lange bevor eine Entscheidung über die Auftragsvergabe im Kreistag am 14. Dezember 1981 fiel, wären Alt und Wißmer bei der "richtungsweisenden internen Sitzung" am 17. November 81 (so ein Gesprächsteilnehmer der BHS) für den 2. Dezember zu einer "riesigen Geburtstagsfeier" des BHS-Vorstandsvorsitzen-den und ehemaligen CSU-Staatssekretärs Gerhard Wacher nach München eingeladen worden. Dies sei die "richtige Atmosphäre, da hier Prominenz aus Kultur und Politik anwesend ist": In dem November-Gespräch hatten Alt und Wißmer der BHS-Führung auch versichert, dass Vizelandrat Sper "ohnehin als FDP-Mann und Marionette von der CDU abhängig ist und nichts zu melden hat" (Zitat aus dem der FR vorliegenden Gedächtnisprotokoll). Auch der politische Gegner, die SPD, könne gegen die mit einer absoluten Mehrheit ausgestattete Kreistags-CDU "nichts ausrichten".

Die Geburtstagsfeier schien auch für den Wetterauer Landrat Münch von Interesse. Er fuhr in Begleitung von Wißmer nach München, gratulierte dem BHS-Vorstandsvorsitzenden Wacher und offerierte als Geschenk, "dass die BHS den Auftrag auf jeden Fall bekäme" (Zitat aus der Niederschrift).

Die Gäste aus Hessen quartierten sich auf Kosten des Münchner Unternehmens im Renommierhotel "Bayerischer Hof" ein und lernten zum Ausklang des offiziellen Teils der Geburtstags-Fete mit der Firmenleitung das Programm im TOP-Nachtclub "Eve" der Weltstadt mit Herz kennen. "Die Belege darüber sind abgebucht", so ein BHS-Mitarbeiter und CSU-Mitglied.

Am 9. Dezember 1981 stand die Auftragsvergabe für das Echzeller Millionen-Projekt als Hauptpunkt* auf der Tagesordnung einer gemeinsamen Sitzung des Planungsausschusses sowie des Haupt- und Finanzausschusses des Wetterauer Kreistages. Den Vorsitz führte Wißmer.

Einen Tag vor dieser entscheidenden Sitzung braute sich über der Wetterau ein Unwetter zusammen und prasselte auf den mittelhessischen Landstrich nieder. Katastrophenschutzleiter, Landrat Helmut Münch, dirigierte die Einsätze, gab das Kommando jedoch kurz vor 20 Uhr ab und hastete in die Stadthalle der Kreisstadt Friedberg, wo er sich abermals mit führenden Leuten der BHS traf. Erneut soll er beteuert haben, die freistaatliche Aktiengesellschaft werde den Auftrag erhalten, zumal gegenüber dem zuständigen Dezernenten und Landrat-Stellvertreter Dr. Sper "keine Preiszugeständnisse" notwendig seien.

Die Einschätzung eines BHS-Vertreters: "Damit waren Wetteraukreis und Dr. Sper verraten und verkauft." Spers Aufgabe, für den Kreis finanziell noch etwas herauszuholen - wie sonst üblich - war somit blockiert.

Sechs Tage nach dem Gespräch in der Stadthalle am 14. Dezember, traf der Kreistag seine Entscheidung: Die CDU-Mehrheitsfraktion und ihr ahnungsloser Partner FDP sprachen sich für die BHS als Bauherrin des seinerzeit noch mit 4,6 Millionen Mark bezifferten Müllumlade-Projekts aus - die SPD stimmte dagegen. Sie war mit dem Standort Echzell nicht einverstanden.

Zwei Wochen nach Auftragsvergabe verbrachte Landrat Helmut Münch zum Jahreswechsel 1981/82 mit seiner Frau und zwei Kindern im Gästehaus der BHS in Bad Reichenhall kostenlos einen Urlaub. Dem Brief, mit dem sich der Landrat für die "freundliche Aufnahme" bedankte, war, laut Aussagen von BHS-Beschäftigten, eine Rechnung über 700 Mark für Verpflegungskosten beigeheftet und laut Buchungsunterlagen auch zurückerstattet worden.
Auch sein Parteifreund Karl-Heinz Wißmer reiste noch einmal nach Bayern. Am 16. April 1982 nahm der CDU-Politiker bei der BHS 45 200 Mark in Banknoten im Empfang. Er quittierte diese Summe auf zwei Zahlungsbelegen für sich und Hans-Jürgen Alt (Beleg Nr. 14/13).

Der Zahlung lagen zwei Schreiben der CDU-Kreistagsmitglieder Wißmer und Hans-Jürgen Alt (44), Mitinhaber der Firma Klima-Lüftung-Heizung-Sanitär Schneidmüller KG in Nidda, zugrunde, die am 5. April "vereinbarungsgemäß" (wie es in beiden Fällen heißt) bei der BHS eingetroffen waren. Auf jeweils neutralen DIN-A 4-Bogen, also ohne Firmenanschrift, datiert vom 3. April 1982, forderte der gelernte Maurer und Planungsausschussvorsitzende Wißmer "für die Planung und Beratung sowie Erstellen von Detailplänen für Müllumladestation 22.600 Mark", Mehrwertsteuer inklusive.

Sein CDU-Parteifreund Hans-Jürgen Alt erlaubte sich, den "sehr geehrten Herren" der BHS den gleichen Betrag "pauschal" in Rechnung zu stellen. Wörtlich vermerkte der 44jährige in seinem Brief: "Für Ausarbeitung von technischen Alternativen mit Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sowie Beratung berechne ich pauschal mit Mehrwertsteuer 22 600 Mark. Ich bitte um Überweisung auf das Konto Nummer ... bei der Volksbank in Nidda. Mit freundlichen Grüßen..."

"Sache, die stinkt"

Diese Schreiben ließen einige Mitarbeiter der BHS hellhörig werden. Von einer "absolut heißen Sache, die stinkt" (so ein Aufsichtsratsmitglied) bis zu der Einschätzung "Hier ist ein ganz krummes Ding gelaufen" (ein Beschäftigter) reichen die Äußerungen. Denn, so ein Insider, die BHS sei einer der "bundesdeutschen Marktführer" auf dem Gebiet von Müllumladestationen. "Wir haben die Umschlagstation schlüsselfertig wie auch anderswo geliefert und benötigen keine Zuarbeiter, die angeblich technische Alternativen oder Planungen entwickeln. Das ist völlig absurd!".

"Ein eindeutiger Fall von Vorteilsannahme, der strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen muss", monierte jetzt auch gegenüber der FR der Wetterauer SPD-Unterbezirksvorsitzend Gerhard Becker. "Kreisausschuss und Kreistag wurden permanent missbraucht, da die Wetterauer CDU mit der BHS unter einer Decke steckte", umreißt ein damals mit dem Großprojek eng Vertrauter der Staatsfirma die Vorgänge aus seiner Sicht.

Wegen der Absprachen und finanziellen Transaktionen zwischen CDU und BHS müssen sich jedoch nicht nur politische Parteien hinters Licht geführt fühlen. Dieser Fall geht auch die Bürger an: Der Verdacht liegt nahe, dass die Barauszahlungen an Wißmer und Alt in Höhe von 45.200 Mark letztlich vom Steuerzahler finanziert wurden, da erst jüngst beim Kreisausschuss des Wetteraukreises noch einmal eine Nachforderung der BHS in Höhe von 43.000 Mark eintraf. Begründung des Unternehmens: Man habe einer Frankfurter Architektengemeinschaft die Bauleitung übertragen. Es handelt sich um ein Architekturbüro, in dem Wißmer ehemals tätig war.

Licht in diese Affäre will jetzt die SPD-Fraktion bringen. Ihr Vorsitzende Herbert Rufer kündigte gegenüber der FR an, er werde eine Sondersitzung des Kreistages beantragen und einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss fordern.

Gegenüber der FR räumte der Chef der Wetterauer Kreisverwaltung, Helmut Münch (CDU), am Mittwoch zwar ein, dass er 717 Mark von der BHS für den Urlaub kassiert habe, doch diese Summe sei mit Datum vom 13. September 1982 - neun Monate nach dem Empfang - zurückerstattet worden. Münch will mit seiner Familie auch nicht im Gästehaus der Firma den Urlaub verbracht haben, sondern "auf Vermittlung von BHS-Direktor Köhler" in einer Privatunterkunft. Von eine Parteienspende in Höhe von 45.200 Mar ist dem Landrat "nichts bekannt" Münch: "Das müsste ich doch wissen."

Die Geschäftsstelle der CDU-Wetterau dazu: "Nein, eine Spende in diese Höhe - oder auch weniger - ist hier bei uns nicht eingegangen."

Weiter offenbart Landrat Münch, dass Wißmer zwar am 17. November der BHS vorstellig geworden sei, um im Vorfeld der Auftragsvergabe "aufgrund seines technischen Know-how die Dinge abzustimmen". Auf Beschluss des Kreisausschusses, betont Münch, wovon wiederum die Mitglieder der SPD und FDP "absolut nichts wissen". Dass Hans-Jürgen Alt seinen Parteifreund Wißmer nach Bayern begleitete, verteidigt Münch mit den Worten: "Gut und schön; Wißmer und Alt waren doch sehr eng befreundet."

Sein Zusammentreffen vor Auftragsvergabe mit den BHS-Repräsentanten in der Friedberger Stadthalle begründe der Landrat so: "Das diente doch nur der technischen Durchführung von Details."

FDP witter "Unrat"

BHS-Direktor Wolfgang Köhler mochte auf telefonische Anfrage "zu den Vorwürfen nichts sagen". Hans-Jürgen Alt war am Mittwoch trotz mehrfacher Versuche der FR für eine Stellungnahme "nicht erreichbar".

Mit Betroffenheit reagierte die FDP-Fraktion, der Kooperationspartner der CDU, und wittert "immensen Unrat". Von der FR auf die Vorgänge angesprochen, verlangt der stellvertretende freidemokratische Kreisfraktionsvorsitzende Jörg-Uwe Hahn eine "rückhasltlose Aufklärung ohne Rücksicht auf Person und deren politische Stellung".

Karl-Heinz Wißmer, dessen Name in enger Verbindung mit dem Bau der Müllumladestation steht, kann zur Aufklärung all der bislang dargestellten Verstrickungen und der "Korruptionsaffäre" (SPD-Unterbezirksvorsitzender Becker) nicht mehr Stellung nehmen: Er ist im November vergangenen Jahres auf der Baustelle der Müllumladestation in Echzell/Grund-Grund-Schwalheim tödlich verunglückt.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 31.03.1983



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