Reichelsheimer Geschichte

Das Braunkohlekraftwerk Wölfersheim

Um das Jahr 1804 liegen die Anfänge des Bergbaues in der Wetterau. Seinerzeit ging es ausschließlich um die Gewinnung von Heizmaterial. Die erste Braunkohle wurde im Tiefbau, also unter Tage, abgebaut. Die Umwandlung der Braunkohle in Strom begann etwa hundert Jahre später: Mit zwei Maschinensätzen und einer Gesamtleistung von 2,6 Megawatt ging 1913 das vom hessischen Staat errichtete Kraftwerk in Wölfersheim in Betrieb.

1927 gründete die Stadt Frankfurt zusammen mit der Preussischen Elektrizitäts AG (PREAG) ein Gemeinschaftsunternehmenm die Braunkohlen-Schwel-Kraftwerk Hessen-Frankfurt AG (HEFRAG). Ziel war der Bau eines Schwelkraftwerkes. 1929 ging das umgebaute Kraftwerk bereits als Kombination zwischen Kraft- und Schwelwerk in Betrieb. Aus dem Kraftwerk gingen als Schwelerzeugnisse Schwelteer, Benzol, Mittel- und Leichtöl hervor. Diese wurden per Kesselwagen vor allem an die Leunawerke bei Halle geliefert. Bereits nach einem Jahr übernahm die PREAG die Anteile der Stadt Frankfurt und war nun alleiniger Betreiber des Kraftwerks. Nach dem zweiten Weltkrieg fielen mit dem 'Eisernen Vorhang' die Leunawerke als Abnehmer weg, so dass sich das Schwelkraftwerk nicht mehr lohnte und es 1954 stillgelegt wurde.

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Blick auf das ehemalige Schwelkraftwerk Wölfersheim. Es befand sich direkt an der heutigen Bundestrasse B455 bzw. der Bahnstrecke Friedberg-Hungen.
Bild: Energiemuseum Wölfersheim

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Blick von Westen auf das Schwelkraftwerk. Im Vordergrund enstehen die ersten Wohnhäuser des Baugebietes entlang der Bundesstraße 455.
Bild: 'Braunkohle in der Wetterau'


Ein neues Blockkraftwerk entsteht

Um den wachsenden Strombedarf decken zu können, nahm die Preussen Elektra 1954 etwas weiter östlich des Schwelkraftwerkes ein Blockkraftwerk in Betrieb. Es bestand aus zwei Blöcken mit einer Leistung von je 27 Megawatt; ein weiterer Kraftwerksblock mit 58 Megawatt folgte 1962. Das Kühlwasser für den Betrieb der Kraftwerksblöcke wurde einem Kühlteich entnommen, der im ausgekohlten Tagebau Wölfersheim angelegt wurde. Die bis zum Schluß installierte Kraftwerksleistung betrug insgesamt 85 Megawatt, wobei maximal 58 Megawatt betrieben werden konnten und 27 Megawatt für ihren Ausfall als Reserve zur Verfügung standen. Einer der kleinen Generatoren wurde zwischenzeitlich abgeschaltet, da die Turbine eine Unwucht bekommen hatte und eine Instandsetzung nicht wirtschaftlich gewesen wäre. In Spitzenzeiten (Belastungsspitzen) wurde das Kraftwerk von den Wasserkraftwerken am Hillersbach in Hirzenhain und Lißberg unterstützt.

Jährlich wurden im Kraftwerk Wölfersheim rund 800.000 Tonnen Braunkohle verarbeitet. Der Heizwert der Wetterauer Braunkohle schwankte zwischen 4000 und 8000 kJ/kg. Damit galt sie als die schlechteste Braunkohle Deutschlands. Da die Wetterauer Braunkohle sehr unterschiedliche Heizwerte hatte, wurden die Kohlequalitäten entsprechend ihrem Heizwert gemischt. Dies geschah in einer auf die besonderen Brennstoffverhältnisse zugeschnittenen Kohle-Mischanlage. Diese Anlage konnte bis zu 160.000 Tonnen Kohle fassen und konnte damit den Betrieb des Kraftwerks für rund einen Monat sichern. Über einen Absetzer wurde die Kohle auf Halden geschüttet und mit einem Schaufelradbagger wieder zurückgeladen und über Förderbänder dem Kraftwerk zugeführt. Die Mischung unterschiedlicher Kohlequalitäten garantierte einen kontinuierlichen Betrieb der Kessel.

Weil die eingesetzte Braunkohle einen niedrigen Schwefelgehalt hatte, war die Schwefelkonzentration im Rauchgas verhältnismäßig klein. Der Bau einer Rauchgasentschwefelungsanlage war deshalb nicht erforderlich. Elektrostaubfilter hielten die Flugasche fast vollständig zurück. Die so in Wölfersheim täglich anfallende Asche wurde zur Auffüllung der ausgekohlten Tagebaue II/III genutzt.

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Das spätere Braunkohlekraftwerk zu Stromerzeugung entstand weiter östlich des alten Schwelkraftwerks direkt am Wölfersheimer See. Auf einer Kohlemischhalde wurde die angelieferte Kohle mit einem Absetzer aufgeschüttet und mit einem Schaufelradbagger zurückgeladen und per Förderband ins Kraftwerk transportiert.
Bild: Energiemuseum Wölfersheim

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Später wurde für die Aufnahme der Braunkohle von der Halde ein solches Rückladegerät verwendet. Zu dieser Zeit fassen beide Mischhalden je 55.000 Tonnen Kohle.

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Blick von Westen auf Wölfersheim und das Braunkohlekraftwerk. Gut zu sehen sind die beiden Kohlemischhalden rechterhand des Kraftwerks.
Bild: Preag Infoprospekt

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Ein Blick auf das Braunkohlekraftwerk in Wölfersheim. Heute noch zu sehen sind Überreste der  Kühlanlage (rechts im Bild).
Bild: Kalender 1987, Wetterauer Volksbank

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1985 sieht man neben dem Blick aus dem Flugzeug auf das Kraftwerk im Hintergrund auch die beiden Tagebaue II (heute Pfaffensee) und III (heute Teufelsee), die Kohle für das Kraftwerk liefern.
Bild: Rudolf Zentgraf

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Das Braunkohlekraftwerk in Wölfersheim Anfang der 80er Jahre. Rechts sind die Gleisanlagen der Werksbahn zu erkennen, links die Kühlanlage im See.
Bild: Preag Infoprospekt

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Der Maschinensatz im Block III des Kraftwerks hatte eine Leistung von 64 Megawatt - soviel wie 1300 damalige Mittelklasse-PKWs.
Bild: Preag Infoprospekt

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Blick in Steuerwarte des Kraftwerks. Elektronische Regeleinrichtungen sorgen größtenteils für die automatische Einstellung des benötigten Energiebedarfs.
Bild: Preag Infoprospekt

Aus einem Prospekt der PREAG sind 1984 folgende technische Daten des Kraftwerks zu entnehmen:

Technische Daten EinheitBlock I/IIBlock III
Leistung (brutto) MW je 30 64
Anzahl der Maschinensätze je 1 1
Nenndrehzahl U/min 3000 3000
Nettowirkungsgrad % je 27 32
Anzahl der Kessel je 1 1
Art des Ascheabzuges TockenentaschungTockenentaschung
Frischdampfdruck bar 145 180
Frischdampftenmperatur °C 525 540
Frischdampfmenge t/h je 110 210
Kühlwassermenge m3/h je 6000 10000
Speisepumpen je 2 Volllastpumpen2 Volllastpumpen
Generatorspannung kV 6,3 10,5
wird hochgespannt auf kV 110 110

Ende der Braunkohleära

Nach Auskohlung des Tagebaus VII bei Weckesheim am 30.September 1991 wurde die noch auf Halde liegende Braunkohle aufgebraucht und das Kraftwerk schließlich einen Monat später abgeschaltet. In den folgenden Jahren wurde das komplette Kraftwerk zurückgebaut und das Gelände rekultiviert. Am 16. und 17. Januar 1996 wurden die drei Schornsteine des Kraftwerks gesprengt. Die drei Riesen hatten mit ihren 100 bzw. 60 Metern Höhe Jahrezehnte das Stadtbild Wölfersheims geprägt. Auf dem Gelände des ehemaligen Kraftwerks befindet sich heute eine Photovoltaik-Anlage.

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Reste der Kühlanlagen im Wölfersheimer See.
Bild: Alexander Hitz

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Am Standort des ehemaligen Kraftwerks befindet sich heute eine Photovoltaik-Anlage.
Bild: Alexander Hitz




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