Reichelsheimer Geschichte

Energiemuseum Wölfersheim

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An den Braunkohlebergbau in der Wetterau erinnert das Energiemuseum in Wölfersheim.


"Das war eine schöne Zeit", blickt Helmut Riess zufrieden zurück. Sieben Jahre lang, von 1957 bis 1964, arbeitete er unter Tage, um Braunkohle in Wölfersheim zu fördern, ehe er sein Bergbaustudium begann. Dreck, schlechte Luft, Gefahr - schöne Zeit? "Natürlich war es schwere Arbeit und gefährlich sowieso", bekräftigt er. "Aber mit der Zeit gewöhnt sich der Mensch doch an alles und nimmt das Unangenehme nicht mehr wahr." Was macht dann jene Erinnerung aus, welche die schöne Zeit im Gedächtnis aufbewahrt? "Zunächst überhaupt die Lust auf den Beruf, denn der Großvater, der Vater und all die Onkels gingen auch unter Tage. Mit den Kollegen war das wie mit einer großen Familie. Wenn es einem mal nicht so gut ging, haben einfach alle angepackt, damit derjenige doch sein Tagespensum geschafft hat. Ein Zusammenhalt ohnegleichen!"

Vom Braunkohleabbau in der Wetterau, von dem Schwel- und Kraftwerk in Wölfersheim, ist nichts übrig geblieben, die Spuren sind so gut wie verwischt. Bis auf die Erinnerung in den Köpfen all jener, welche mit diesem Beruf einst ihren und den Lebensunterhalt ihrer Familien bestritten. Bis auf "Überbleibsel" in der Natur wie beispielsweise der Inheidener See der infolge des Tagebaus entstanden ist.

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Und bis auf das Energiemuseum in Wölfersheim, untergebracht im ehemaligen Schalthaus der OVAG, 1997 vom Verein zur Pflege der Bergbau- und Kraftwerkstradition eingerichtet. "Es ist doch wichtig, dass diese Geschichte, dass diese Tradition wenigstens in Form eines solchen Hauses erhalten bleibt", findet der 1. Vorsitzende, Rudi Weinelt, zugleich eines der rührigsten Mitglieder dieser Gemeinschaft, der nicht müde wird von diesem Thema zu erzählen.

Neben einer Fläche, welche der Darstellung neuer Energien gewidmet ist, gleicht das Ausstellungshaus in der Nähe des Wölfersheimer Bahnhofes einer wahren Fundgrube.Arbeitsmittel der Gleisbaukolonne, welche die Schienen für die Werksbahn zum Transport der Kohle anlegte, zeugen ebenso wie das so genannte Gezähe, also die Werkzeuge der Bergleute, von einer industriellen Arbeit, die es heutzutage, zumindest in der westlichen Welt, so kaum noch gibt. Viele Fotos sind zu bestaunen, Kuriositäten wie etwa eine Streichholzschachtel mit Werbung für das Kraftwerk. Zündmaschine und Dynamit. "Nach der Sprengung, wenn sich so langsam der Rauch verzog, gab es erst mal Frühstück. Speck, Wurst, Zwiebeln. Käse war unbekannt", berichtet Helmut Riess lakonisch, wie er beinahe zu jedem Exponat eine Anekdote auf Lager hat. Dann das Prunkstück der Ausstellung, welche sich auf 200 Quadtratmetern ausbreitet: ein rund zwölf Meter langer Stollen, aus jenem Holz errichtet, welches früher als Stütze in den Gruben zum Einsatz kam. Mitten drin in dieser spärlich beleuchteten Etappe ein Hunt, ein bulliger Kohlewagen.

Hinab in die Unterwelt

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"Bis zu einer Stunde dauerte es, ehe man bis zu 60 Meter zum Arbeitsplatz hinabgestiegen war", schildert Helmut Riess so bildhaft, dass der Zuhörer glaubt, er nehme ihn mit in die Unterwelt. Dann gelangten Hauer und Schlepper an ihre Arbeitsstätte für diesen Tag, wo sie sich ein vorgegebenes Stück vorzunehmen hatten. Kohle hacken, aufladen, den Kohlewagen schieben und zum Schluss neue Grubenbaue mit Abdeckungen errichten. Im Akkord. "Wer zwei, dreimal schlapp machte, geriet schnell aufs Abstellgleis...". Das wollte keiner, konnten die Kumpel in den 50er Jahren doch damalige Spitzenlöhne zwischen 17 und 20 Mark pro Achtstundenschicht erzielen.

Rudi Weinelt öffnet ein Fläschchen. "Öl, welches wir aus der hiesigen Kohle gewannen. So roch es seinerzeit in ganz Wölfersheim. Und weiße Wäsche brauchten die Frauen erst gar nicht hinauszuhängen". Erwarben die Menschen in Wölfersheim und Umgebung durch die Kohle sicherlich einen nicht zu unterschätzenden Wohlstand, sind die Beeinträchtigungen, die sie dafür in Kauf nehmen mussten, allerdings nicht von der Hand zu weisen. Und hier, aus einem weiteren Gefäß, fischt Weinelt sie dann heraus und bewegt sie fast zärtlich zwischen seinen Fingern: die Wetterauer Kohle.

"Bessere Blumenerde"

Nach erdgeschichtlichen Dimensionen mit einem Alter, das sich zwischen einem und 1,2 Millionen Jahren einpendeln dürfte, schlichtweg blutjung. Die jüngste Braunkohle, die jemals in Deutschland abgebaut wurde. "Bessere Blumenerde", lächelt Weinelt. In der heutigen Auenlandschaft wucherte vor Urzeiten ein Urwald. Dessen Bäume verwandelten sich unter Druck und Hitze allmählich zu Braunkohle. 1804 eröffnete Graf Vollrad von Solms-Rödelheim das erste Braunkohlebergwerk in der Wetterau bei Ossenheim. Angeheizt wurde die Eröffnung zahlreicher weiterer Gruben und Bergwerke in den darauf folgenden Jahren durch den fürstlichen Erlass, in der "holzarmen Wetterau" Kohle für den Haus- und Gewerbebrand zu benutzen. Dabei ziehen sich die Fördergebiete, welche die Bergleute peu a peu eroberten, gleich einer Schlaufe von Dorn-Assenheim hinauf bis nach Inheiden.

Die Kohle fand vorwiegend als Brennmaterial Verwendung, ab 1913 auch zur Stromerzeugung im ersten Kraftwerk des Großherzogtums Hessen; es war zugleich die Geburtsstunde des Überlandwerk Oberhessen, der heutigen OVAG.

Die zweite Betriebsperiode des Bergbaus begann mit der Inbetriebnahme eines Schwelkraftwerkes 1929 - das bis 1954 stampfte und dampfte. Die Kohle stammte vorwiegend aus dem Tiefbau, aber ebenso schon aus zwei Tagebauen. Neben dem Strom erzeugte die Preußen Elektra, die 1930 ihre Tochter, die Hefrag, zu einhundert Prozent übernahm, Mineralölprodukte wie Benzin und Heizöl.

Bis zu 1500 Mitarbeiter

"In der Hochzeit beschäftige das Unternehmen rund 1500 Mitarbeiter", blättert Rudi Weinelt in den Annalen. "Mit dem Eisernen Vorhang jedoch wurde die Lieferung von Teer nach Leuna eingestellt. Da halbierte sich die Mitarbeiterzahl."

So blieb nur noch die Stromerzeugung, die Inbetriebnahme eines Blockheizkraftwerks brachte es ab 1962 immerhin auf eine Gesamtleistung von 124 Megawatt. In diesem Jahr wurden übrigens die letzten Tiefbaugruben stillgelegt, fortab ging es nur noch über Tage weiter, den Bergbau stellten die Verantwortlichen auf moderne Gewinnungsgeräte und Fördermittel um. Dem Transport der Kohle von den Tagebauen zum Kraftwerk sowie der Asche zurück zu den Tagebauen diente eine elektrische Grubenbahn, von der vor dem Museum zwei Loks mit Wagen zu sehen sind.

1991 waren die Braunkohlevorräte erschöpft, der Wölfersheimer Betrieb wurde eingestellt. Zum Ende betrug die Belegschaft 254 Mitarbeiter, von denen ab 1992 noch 85 für den Abschluss und die Rekultivierung arbeiteten.

Die fast 200-jährige Bergbauzeit im Raum Wölfersheim förderte insgesamt etwa 70 Millionen Tonnen Braunkohle zu Tage, welche in den drei Kraftwerksanlagen neben den Schwelprodukten wiederum 25 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugten.

Zähigkeit und Muskelkraft

Beeindruckende Zahlen - aber wer erinnert sich noch der Männer, die mit unglaublicher Zähigkeit, Muskelkraft und viel Fleiß dies zustande brachten? Helmut Riess nimmt einen "Lebensretter" aus einer Vitrine. "Mit dem konnte man im Notfall bis zu zweit Stunden atmen." Rudi Weinelt verweist auf die "Deutsche Wetterlampe", mit welcher die Kumpel den Gehalt von Fäulnisgasen, also dem für sie hochexplosiven Methangas, unter Tage feststellen konnten. Bis zu 15 Kollegen, schätzen die beiden, hat der Bergbau in der Wetterau das Leben gekostet. Das schlimmste Unglück wohl 1929 in Trais-Horloff in einer Grube, die eigentlich längst hätte geschlossen sein sollen.

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Helmut Riess schlendert zu den Fotos in dem nachgebauten Stollen. Viele Aufnahmen hat er selbst gemacht. "Obwohl ich deswegen Ärger mit meinen Eltern bekam." Immerhin kostete ein Blitzwürfel für den Fotoapparat 50 Pfennige. "Das da bin ich", deutet er auf ein Bild. Er schüttelt den Kopf, als sei es erst gestern geschehen. "Da unten hat es so von der Decke geregnet, dass man trotz eines Abfangblechs immer nass wurde. Hatte man am Abend vorher einen drauf gemacht, war man wegen dieses Regens putzmunter sobald die Arbeit anfing." Helmut Riess auf dem Foto - Zeuge einer untergegangen Epoche. Behelmt, mit ärmellosem Hemd, schmutzig. Trotz der unvorstellbaren Maloche - doch irgendwie zufrieden und glücklich unter Tage...

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Das Braunkohlemuseum Wölfersheim ist im Obergeschoß des ehemaligen Umspannwerkes der Preag untergebracht.

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Gegenüber des Umspannwerkes stehen am Bahnhof ein Kohle- und ein Aschezug.

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Blick in die große Halle des Braunkohlemuseums auf den nachgebauten Stollen.

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Nachbau des Kraftwerks Wölfersheim in seinem letzten Ausbaustadium.

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Zahlreiche Bildergalerien dokumentieren den Braunkohleabbau in der Wetterau.

Anschrift und weitere Informationen

Wölfersheimer Energiemuseum
Seestraße 11
61206 Wölfersheim
Link zur Homepage


Quellen:
- Artikel: "Unser Oberhessen", Kundenmagazin der OVAG, Ausgabe 01/2007
- Bilder: Alexander Hitz
- Infos: www.woelfersheim.de



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